Die Bundesrepublik Deutschland verfügt weltweit über das größte und am dichtesten geknüpfte Netz institutioneller und freier Theater. Die Spannweite umfasst staatlich oder kommunal unterhaltene Stadt- und Staatstheater, kommerziell geführte Musical- und Unterhaltungsbühnen sowie eine hohe Dichte freier Theater, Tanzkompanien und Performancegruppen, die ihre Arbeit jedoch in der Regel mit Mitteln staatlicher Förderprogramme finanzieren. Aktuell ist die Situation der Darstellenden Künste in Deutschland von einem Paradoxon geprägt: Einerseits nagt die Finanzkrise an der Substanz der deutschen Theaterlandschaft, da die öffentlichen Mittel zu ihrer Finanzierung schwinden. Andererseits erleben die Darstellenden Künste in Deutschland einen Relevanzschub als Akkumulationspunkt politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen.
Die Entwicklung der Darstellenden Künste in Deutschland ist eng gebunden an die Emanzipation des Bürgertums. Für diese ökonomisch starke aber politisch praktisch bis zum Ende des Ersten Weltkrieges einflusslose Schicht wurde das Theater im 19. Jahrhundert zur zentralen Selbstverständigungsform. In der Folge etablierten sich die Stadttheater als bedeutende Zentren der städtischen Kultur.
Die vielfältige deutsche Theaterlandschaft ist auch der Tatsache zu verdanken, dass Deutschland erst im Jahr 1871 zu einem Nationalstaat mit einer Hauptstadt Berlin geworden ist. Bis dahin gab es ein geografisch und politisch nur lose definiertes Gefüge aus Stadt- und Kleinstaaten oder Fürstentümern, deren Residenzstädte jeweils eigene Hof- oder Staatsbühnen unterhielten. Hier wurzelt bis heute der hohe Stellenwert des Theaters in der Kultur dieses Landes. Bis heute verfügt nahezu jede größere Stadt über ein eigenes Theater, meist eine sogenannte Drei-Sparten-Bühne mit Oper, Schauspiel und Ballett. Viele Bundesländer unterhalten außerdem eigene, hochkarätige staatliche Ausbildungsstätten für Theater und Tanz.
Die zentrale Rolle der Darstellenden Künste in der deutschen Kultur wurzelt darüber hinaus in der Politisierung der Künste in den Jahren um den Ersten Weltkrieg (1914-1918). Im Zuge dieser Politisierung entwickelten sich auch erste Vorstellungen antiinstitutioneller, offener Theaterformen, die sich schon in den 1920er Jahren radikal von der bürgerlichen Theaterästhetik abwandten. Bereits in der Weimarer Republik (1918/19-1933) entstanden freie, oftmals mit Laien besetzte Spielgruppen, die nicht mehr an feste Häuser und Organisationsformen gebunden waren.
In den Ländern der alten Bundesrepublik (Westdeutschland zwischen 1949 bis zur deutschen Wiedervereinigung 1990) knüpften die ersten freien Gruppen erst Ende der 1960er Jahre wieder an diese, von den Nationalsozialisten 1933 gewaltsam beendete Bewegung an. In der DDR (Deutsche Demokratische Republik, 1949-1990) gab es auf Grund der institutionell fixierten und stark zentralistisch gelenkten Kulturpolitik nie eine nennenswerte freie Szene.
In Westdeutschland erfuhr das Stadttheater nach 1945 als Zentrum bildungsbürgerlicher Selbstverständigung eine Restauration, strukturell unterstützt durch die verfassungsmäßig festgeschriebene Kulturhoheit der Länder. Letztere bildet das Herzstück der Eigenstaatlichkeit der Länder und gewährt ihnen im Sinne des föderalen Struktur- und Verantwortungsprinzips primäre Zuständigkeit in Bezug auf kulturelle Angelegenheiten. In der DDR versuchte man zunächst, die verschiedenen Avantgardebewegungen der Vorkriegszeit samt ihrer Bemühungen um eine inhaltliche und institutionelle Öffnung des Theaters aufzugreifen. Doch auch hier blieben die Erneuerungsversuche auf die Institution der Stadt- und Staatstheater beschränkt, wenngleich das ästhetische Innovationspotenzial des DDR-Theaters deutlich stärker war als das in der alten Bundesrepublik.
Dies änderte sich erst mit der folgenreichsten westdeutschen Theaterneugründung nach 1945: 1962 hatte eine Gruppe junger Künstlerinnen und und Künstler eine Mehrzweckhalle in Berlin-Kreuzberg zum Theater umfunktioniert. Die Schaubühne am Halleschen Ufer sprengte nicht nur die Zentralperspektive der Guckkastenbühne, sondern auch die hierarchischen Autoritätsstrukturen. Um die Regisseure Peter Stein und Klaus Grüber, den Dramaturgen Dieter Sturm und den Dramatiker Botho Strauß entstand im Westteil Berlins ein über viele Jahrzehnte hindurch stilprägendes Theater, das sich zu einer radikalen, kritischen Zeitgenossenschaft bekannte. Nicht nur klassische und antike Literatur erlebten eine Neuinterpretation, sondern neben den damals bahnbrechenden Dramen von Botho Strauß kamen auch Stücke von Bertolt Brecht ins Programm, der als Kommunist in Westdeutschland lange boykottiert wurde.
Brecht war aus der amerikanischen Emigration 1948 in den Ostteil Berlins gezogen, wo er zunächst unter dem Dach des Deutschen Theaters arbeitete, bevor er mit seinem Berliner Ensemble 1954 das Theater am Schiffbauerdamm bezog, das bis heute von seinem Ruf als Brecht-Theater zehrt. Das Deutsche Theater, am Anfang des 20. Jahrhunderts durch Max Reinhardt zu Weltruhm geführt, stieg unter der Intendanz des Regisseurs Wolfgang Langhoff nach 1945 zum Nationaltheater der DDR auf, das sich die Neubefragung der bürgerlichen deutschen Klassik ebenso auf die Fahnen geschrieben hatte, wie die Entwicklung einer modernen sozialistischen Klassik. Im Zuge dessen richtete es seine Aufmerksamkeit in den 1950er Jahren auf junge Autoren wie Heinar Kipphardt oder Peter Hacks. Grundsätzlich erfüllte das Theater in der DDR bis 1989 eine ebenso komplexe wie widersprüchliche Funktion zwischen Gegenöffentlichkeit, Opposition und kultureller Selbstbehauptung. Viele Künstlerinnen und Künstler scheiterten immer wieder an der engstirnigen staatlichen Kulturpolitik. Von den prägenden Autoren und Theatermachern in der Nachfolge Brechts ist besonders Heiner Müller zu nennen, der in den 1980er Jahren in beiden deutschen Staaten gleichermaßen den Rang eines Nationaldichters inne hatte.
Das westdeutsche Theater profitierte seit den 1970er Jahren zunehmend auch von Künstlern aus der DDR, die dort aufgrund der staatlichen Repressionen nicht mehr arbeiten konnten. Bedeutendster westdeutscher Anlaufpunkt für diese Künstler war in den 1980er Jahren das Bochumer Schauspielhaus unter Claus Peymann, der zu der Gründergruppe der Schaubühne gehört hatte und heute Intendant des Berliner Ensembles ist. Als Schmelztiegel der Theaterästhetiken sowie von Künstlerinnen und Künstlern aus Ost und West zeichnete sich nach 1990 die Berliner Volksbühne aus – mit Intendant Frank Castorf und dort arbeitenden Künstlern wie Christoph Marthaler oder Christoph Schlingensief das prägende Theater im wiedervereinigten Deutschland, welches bis zum heutigen Tag starke künstlerische Akzente zu setzen vermag.
Die revolutionären Bewegungen in Kunst und Gesellschaft in den 1920er Jahren erfassten in besonderem Maße auch den Tanz in Deutschland. Die hochformalisierte Bewegungssprache des klassischen Balletts wurde nicht allein als Ausdruck und Relikt der höfischen Kultur des Feudalismus angegriffen, die man spätestens nach 1918 zu überwinden trachtete, sondern grundsätzlich als Inbegriff der Zurichtung des Menschen durch eine seinen Freiheitsinteressen feindlich gesinnte Gesellschaftsordnung an sich aufgefasst. Besonders der Ausdruckstanz hatte das Ziel, zu den natürlichen Bewegungsabläufen des Körpers zurückzufinden. In Abgrenzung zum klassischen Ballett wurde Anfang des 20. Jahrhunderts der Begriff Modern Dance geprägt – aufgrund der starken Dominanz deutscher oder in Deutschland arbeitender Künstlerinnen und Künstler bald auch New German Dance genannt. Der Nationalsozialismus beendete diese Entwicklung nachhaltig.
Im Tanztheater konnte in Westdeutschland erst in den 1960er Jahren die Kurt-Jooss-Schülerin Pina Bausch wirksam an die abgerissene Avantgardetradition anknüpfen – zunächst an der Essener Folkwangschule, bis heute eine der renommiertesten Ausbildungsstätten für Tanz in Deutschland, und seit 1973 bis zu ihrem Tod im Jahr 2009 dann als Leiterin der Ballettsparte der Wuppertaler Bühnen, die sie zu Weltruhm führte. In der DDR nahm Gret Palucca zwar unmittelbar nach Kriegsende ihre Arbeit in Hellerau bei Dresden wieder auf, wo vor 1933 bedeutende Erneuerer des Tanzes wie Émile-Jacques Dalcroze und Rudolf von Laban gewirkt hatten. Doch geriet sie immer wieder in Konflikte mit den avantgardefeindlichen Dogmatikern in Staats- und Parteiführung. Ihrer Schule entstammt u.a. die bedeutende Choreografin und Opernregisseurin Ruth Berghaus. Bis heute gehört die bereits im Jahr 1925 gegründete und 1945 wieder eröffnete Dresdener Palucca-Schule zu den führenden Ausbildungsstätten für modernen und klassischen Tanz in Deutschland.
Seit 1990 ist es nur der Tänzerin und Choreographin Sasha Waltz gelungen, national und international mit Pina Bausch aufzuschließen. Im Gegensatz zu Pina Bausch stammt Sasha Waltz aus der freien Tanzszene, bevor sie von 2000-2005 nach dem endgültigen Ende der Ära Peter Stein neben dem Regisseur Thomas Ostermeier der künstlerischen Leitung der Berliner Schaubühne angehörte. Inzwischen arbeitet sie wieder unabhängig und probt und produziert mit ihrer Compagnie vor allem in dem im Jahre 2006 gegründeten Radialsystem V Berlin.
Modernes Tanztheater hat es nach wie vor schwer, sich im Drei-Sparten-Betrieb der staatlichen oder kommunalen Bühnen zu behaupten, wo bis heute das klassische Ballett dominiert. Die Ballettkompanien der Stadt- und Staatstheater haben – im Gegensatz zu den Schauspielensembles – eine international geprägte Struktur, da das deutsche Stadttheatersystem attraktive Arbeitsbedingungen für gut ausgebildete Tänzerinnen und Tänzer aus der ganzen Welt zu bieten hat.
Die staatliche Förderpolitik der letzten Jahre aber hat mit ihrem Fokus auf zeitgenössische Formen von Tanz und Performance – maßgeblich bestimmt durch den Tanzplan Deutschland, eine Initiative der Kulturstiftung des Bundes – die Bundesrepublik Deutschland auch im freien Bereich interessant für internationale Künstlerinnen und Künstler gemacht. Künstlerinnen und Künstler wie die argentinische Choreografin Constanza Macras arbeiten sowohl im Stadttheater als auch in der Freien Szene, wo Macras in den letzten Jahren u.a. mit choreografischen Projekten mit Berliner Einwandererkindern aus sozialen Randgruppen („Hell on Earth“, 2008) Furore machte. Damit hat das Tanztheater als Medium der Integration auch eine neue gesellschaftliche Funktion besetzt.
Auch hat der Tanz in den letzten Jahren als Schwellenmedium und Initiationsinstrument für kulturelle Bildung und Partizipation überzeugende Wege gewiesen. Denn er bietet die Möglichkeit eines Zusammenspiels von Menschen unterschiedlichster Herkunft jenseits von Alters-, Sprach- oder Bildungsbarrieren. Das berühmte erste Education-Projekt der Berliner Philharmoniker für Kinder und Jugendliche mit dem britischen Choreografen und Tanzpädagogen Royston Maldoom, das durch den Dokumentarfilm „Rhythm is it“ (2004) zur Legende wurde, ist nur eines von vielen Beispielen.
Seitdem hat ein regelrechter Tanzboom unterschiedlichste Bildungseinrichtungen ebenso erfasst wie freie Gruppen, Stadt- und Staatstheater. Es gibt offene Tanzprojekte in städtischen Jugend- und Kulturzentren, die damit auch attraktive Arbeitsorte für frei arbeitende internationale Künstlerinnen und Künstler sind. Darüber hinaus wurde inzwischen in elf Bundesländern Darstellendes Spiel als Schulfach eingeführt; seit 2008 wächst auch die Akzeptanz für das Schulfach Kreativer Tanz. So eröffnen sich auch hier zunehmend für international arbeitende Künstlerinnen und Künstler interessante Arbeitsfelder, da an den Schulen häufig auf Projektbasis gearbeitet wird.
Im vergangenen Jahrzehnt haben Tanz und Theater sich auch als Formen gesellschaftlicher Kommunikation zwischen privatem und öffentlichem Raum etabliert, Beispiele sind hier die Stadterkundungsprojekte von LIGNA, Boris Sievert, Matthaei & Konsorten oder die Stadteditionen der 100 % Abende von Rimini Protokoll. Dabei sind Zuschauerinnen und Zuschauer zunehmend auch als Mitwirkende gefragt. Dies geht einher mit der institutionellen Öffnung der Schauspielsparten deutscher Stadt- und Staatstheater. Dort gab es sehr lange so gut wie keine Arbeitsmöglichkeiten für nicht deutschsprachige Künstlerinnen und Künstler. Denn lange herrschte hier noch der Glaube an ein homogenes und seit Generationen in Deutschland verwurzeltes Publikum vor. Dies spiegelte sich in der Spielplanpolitik ebenso wieder wie in der Zusammensetzung der Ensembles. Erst in der letzten Zeit hat das Stadttheater im Zuge seiner institutionellen Öffnung begonnen, sich nicht mehr ausschließlich am Gedanken einer nationalen Leitkultur zu orientieren. In Zeiten knapper öffentlicher Kassen sah es sich gezwungen, seine Funktion als repräsentatives Zentrum städtischer Kultur neu zu definieren.
Denn das Theaterpublikum in Deutschland hat sich inzwischen ebenso diversifiziert wie die Gesellschaft der Bundesrepublik, die sich längst aus Menschen mit unterschiedlichsten kulturellen Wurzeln und Bildungshintergründen zusammensetzt und mit dem klassischen Bildungskanon nicht mehr zu erreichen ist.
Diese Realitäten sind jedoch schon lange struktureller und inhaltlicher Bestandteil der freien Szene, die in den letzten beiden Jahrzehnten ein entscheidender Entwicklungsmotor der Darstellenden Künste in Deutschland gewesen ist. Dort konnten unterschiedlichste Formate – von Performance über Dokumentartheater und selbständige Stoffentwicklungen bis hin zu freien Adaptionen klassischer Stoffe – spartenübergreifende Projekte oder Symposien mit gesellschaftspolitischen Inhalten bereits ganz neue Zuschauerschichten erschließen. Darunter fällt auch eine mit digitalen Medien und Technologien aufgewachsene junge Generation, deren Sehgewohnheiten und Kulturstrategien längst auch an theatralische Erzählweisen veränderte Anforderungen stellen.
Lange bevor der Begriff Audience-Development, der die Entwicklung und (strategische) Gewinnung von Kulturpublika beschreibt, zum Marketinginstrument in den Stadttheaterdramaturgien wurde, hatten freie Spielstätten wie Kampnagel in Hamburg, die Berliner Sophiensaele oder das Hebbel am Ufer (HAU) unter Matthias Lilienthal (1991-1998 Chefdramaturg an der Berliner Volksbühne unter Frank Castorf) vorgemacht, wie das ging: nämlich Veranstaltungen für unterschiedlichste Ziel- und Interessensgruppen anzubieten, wie gesellschaftspolitische Symposien oder popkulturell geprägte Mischformen zwischen Lesung, Performance und Konzert.
Im Kontext der Suchbewegungen in Richtung neuer Zuschauerschichten entdeckte das freie Theater auch einen bislang gänzlich ignorierten Teil der deutschen Gesellschaft: die Nachkommen derer, die seit den 1960er Jahren als Einwanderer nach Deutschland gekommen waren. Inzwischen machen sie immerhin fast ein Fünftel der deutschen Bevölkerung aus. Es war Matthias Lilienthal, der im Berliner HAU im Jahr 2005 das erste Theaterfestival für Postmigrantische Kultur "Beyond Belonging" ins Leben rief, wo deutsche Künstlerinnen und Künstler mit türkischen Wurzeln sich mit Fragen zu ihrer kulturellen Identität auseinandersetzten. Die von Matthias Lilienthal damals als Kuratorin beauftragte Shermin Langhoff hat das Konzept im eigenen Theater Ballhaus Naunynstrasse dann zu überregionalem Ruhm gebracht. Mit der Spielzeit 2013/14 übernimmt sie die Intendanz des Maxim Gorki Theaters in Berlin.
So ist die deutsche Tanz- und Theaterszene heute eine Landschaft im Umbruch und damit zu einem offenen Raum auch für internationale Künstlerinnen und Künstler geworden. Die Grenzen lösen sich auf. Zwischen den Ländern und Kulturen ebenso wie zwischen den Sparten der Darstellenden Kunst, die sich zunehmend gegenseitig durchdringen und befruchten.
Die Möglichkeiten und Karrierechancen sind groß. Aber auch die persönlichen Risiken, denn man muss sich auf Arbeitsverhältnisse einrichten, deren Basis Selbstausbeutung und eine zeitlich begrenzte, finanziell prekäre Ausstattung ist. Erfolgreiche Arbeiten haben einen hohen Streufaktor, da es in Deutschland besonders für freie Produktionen einige stark beachtete Festivals gibt, die diesen Arbeiten zusätzliche, auch überregionale Aufmerksamkeit verschaffen, oft auch über die Landesgrenzen hinaus. (siehe Festivalsammlung links)
Die theoretische und praktische Innovationselite der deutschen Theater- und Performanceszene kam lange aus dem Institut für Angewandte Theaterwissenschaften der Universität Gießen. In der Tradition von Bertolt Brechts epischem Theater lernten die Studierenden hier, bei ihren Theaterarbeiten auch die Bedingungen der Repräsentationsform mitzudenken. In Gießen wurde durch den Gründungsdirektor Andrzej Wirth und den Theaterwissenschaftler Hans-Thies Lehmann der Begriff „Postdramatik“ geprägt. Gießener Absolventinnen und Absolventen, denen das Gegenwartstheater prägende Impulse verdankt, sind der Regisseur und Dramatiker René Pollesch oder auch die Mitglieder der Performance-Gruppen Rimini Protokoll und She She Pop, die aus der freien Szene heraus auch die Stadttheater eroberten. Inzwischen hat sich der Studiengang Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis der Universität Hildesheim auch einen Ruf als Kaderschmiede einer nachwachsenden Theater- und Performanceavantgarde erarbeitet.
Auch die staatlichen Ausbildungsstätten für Schauspiel, Tanz, Choreografie und Regie haben in der Regel Universitäts- oder Hochschulstatus. Allerdings gibt es starke Zugangsbeschränkungen. Grundsätzlich besteht nur ein Bruchteil der Bewerberinnen und Bewerber überhaupt die harten Aufnahmeprüfungen. Wer nicht akzentfrei Deutsch spricht, hat erst recht kaum Aussichten, einen Platz für eine Schauspielausbildung an einer staatlichen Einrichtung zu erhalten. Anders sieht das für Bewerberinnen und Bewerber in den Bereichen für Tanz oder Choreografie aus, wo allein eine herausragende künstlerische Begabung ausschlaggebendes Kriterium ist.
Die Darstellende Künste arbeiten heute nicht nur in Deutschland vermittelnd an unterschiedlichsten Schnittstellen: an den Übergängen privater und öffentlicher Räume, an der Grenze zwischen Fiktion und Dokumentation, Pop-, Alltags- und Hochkultur, virtueller und physischer Welt. Dass überall Zuordnungen und Definitionen immer schwieriger werden, ist Bedrohung und Chance zugleich. Denn in dem Auflösungsszenario kommt den Darstellenden Künsten die wichtige Funktion zu, dem einzelnen Menschen, der der Kunst als Zuschauender gegenübertritt, immer wieder Angebote eines kognitiven oder sinnlichen Zugriffs zu machen. Dem ins Taumeln geratenen Individuum einen Halt zu bieten.
Darin besteht die Grundherausforderung an die Kreativität und den Einfallsreichtum derer, die in Deutschland arbeiten wollen – eine Herausforderung jedoch, die sich anzunehmen lohnt.